Online-Gschichtl Nr. 204

Das Kriegsgefangenenlager Kaisersteinbruch STALAG XVIIA – Teil 2

Ava Pelnöcker berichtet im zweiten Teil ihres Beitrages über die weiteren Geschehnisse im Kaisersteinbrucher Kriegsgefangenenlager bis zur Befreiung 1945.

 

In Folge der vernichtenden Niederlage, welche die Deutsche Wehrmacht den französischen Truppen im „Blitzkrieg“ beigebracht hatte, stimmte Marschall Pétain einem Waffenstillstand zu. Mit einem Schlag gelangten auf diese Weise mehr als 1,85 Mio. Franzosen in die Gewalt des Feindes. In den Lagern des Wehrkreises XVII (A Kaisersteinbruch und B Gneixendorf) stellten die hier registrierten Franzosen im Sommer 1940 mit rund 76.000 Mann die Mehrheit, gefolgt von 27.000 Belgiern. Unter den Gefangenen befanden sich auch zahlreiche Rekruten aus den damaligen Kolonien Indochinas und Nordafrikas. Die „Tirailleurs sénégalais“ (Senegalschützen) machten einen besonders exotischen Eindruck auf ihre hiesigen Zeitgenossen. Ein Umstand, der sogleich das Wiener anthropologische Institut auf den Plan rief, um im Sinne der NS-Ideologie „rassenkundliche Studien“ vorzunehmen. Die akribische, entwürdigende „Vermessung“ mit Maßband, Zirkel und Anthropometer wurde auch noch auf Farbfilm festgehalten.

Die Franzosen stellten nicht nur zahlenmäßig die „Lagerelite“, sondern verfügten durch Spezialisten auf allen Gebieten über eine hervorragend funktionierende interne Infrastruktur. Regelmäßig informierten zwei Lagerzeitungen über das aktuelle Geschehen im Lager. In der Freizeit standen sportliche Aktivitäten ebenso auf dem Plan wie Theateraufführungen in der Kult(-ur)-Baracke. Geschickte Dekorateure fertigten mit primitivsten Mitteln nicht nur beeindruckende Kostüme und Bühnenbilder, sondern schmückten die Baracke auch für Gottesdienste aus. Neben Pater Josef Franzl stand den katholischen Gefangenen eine Reihe von Priestern aus den eigenen Reihen zur Verfügung. Für die umjubelten Konzerte unter der Leitung des Pariser Operndirigenten erhielt das Lagerorchester sogar Ausgang nach Wien oder Wiener Neustadt. Parodien auf Maurice Chevalier oder die Gesangsdarbietungen der „Lustigen Lurche“ ließen die Internierten ihren gleichförmigen, tristen Lageralltag für ein paar Stunden vergessen.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten landeten auch die ersten Lebensmittelpakete aus der Heimat im Kaisersteinbrucher STALAG. Die von der deutschen „Abwehrstelle“ zensurierten Postkarten enthielten auf sieben Zeilen reduzierte Lebenszeichen an die Familie, durften jedoch keine verfänglichen Inhalte aufweisen. Jedes Poststück wurde daher mit einem Zensurstempel freigegeben. Besonderer Beliebtheit bei den Lieben daheim erfreuten sich auch jene Gruppenfotos, die der Wiener Fotograf Ernst Kembitzky zu Tausenden anfertigte. Dabei hielt er auch die alltäglichen Momente des Lagerlebens fest, etwa die Ausgabe der verhassten Steckrübensuppe oder das Bunkern von Kartoffeln und Margarine. Entgegen der fotografisch vermittelten Propaganda war die Versorgungslage jedoch äußerst prekär, da den Gefangenen im Lager zumeist nur verdorbene Lebensmittel zugestanden wurden. Fleisch fand nur in geringsten Mengen Eingang in den Suppentopf.

Im Juli 1940 waren neben 350 polnischen auch 60 französische Kriegsgefangene dem Arbeitskommando in Mannersdorf zugeteilt. Morgens wurden die Männer von ihrem bewachten Quartier im Wirtschaftstrakt des Schlosses abgeholt, wo sie sich am Ende des Arbeitstages wieder einfinden mussten bevor es abgeriegelt wurde. Auch in Sommerein existierte eine entsprechende Gemeinschaftsunterbringung im Graben. Ihre Verpflegung erhielten die Gefangenen auf den Höfen, wo sie sich frei bewegen konnten. Rigide Strafandrohungen sollten der Fraternisierung vorbeugen: Essen am gemeinsamen Tisch war untersagt, Gespräche waren auf die allernötigsten Arbeitsanweisungen zu beschränken. Doch im Laufe der Zeit verflüchtigten sich die Ressentiments, denn so manche:r Einheimische:r hoffte im Stillen, dass der eigene Sohn in Gefangenschaft ebenso gut behandelt würde, wie der „Feind“ im eigenen Haus. Viele Mannersdorfer und Sommereiner Familien knüpften zu „ihren Franzosen“ freundschaftliche Beziehungen, die nach Kriegsende noch Jahrzehnte mit Korrespondenz und gegenseitigen Besuchen gepflegt wurden. Auch so manche „deutsche Frau“ konnte dem Charme der „prisonniers francais“ nicht widerstehen, wovon die in die Zehntausende gehenden „Franzosenkinder“ zeugen, die ihren leiblichen Vater niemals kennenlernten. Denn nur wenige „deutsche Frauen“ hatten als „boches“ den Mut ihrem Herz in die Fremde zu folgen.

Mit den französischen Kombattanten gelangten auch rund 15.000 republikanische Spanier, die nach dem Sieg des faschistischen Franco-Regimes 1939 aus ihrer Heimat geflohen waren, in NS-Kriegsgefangenenlager. Ebenso wie später die Politkommissare der Roten Armee wurden sie aufgrund ihrer kommunistischen Weltanschauung auf Befehl des „Führers“ herausgefiltert und ins KZ Mauthausen deportiert. Letztlich überlebte nur ein Drittel der dort inhaftierten Spanier die Schwerstarbeit in den Granitsteinbrüchen.

Als Folge des Putsches gegen die NS-freundliche Regierung überwältigte die Wehrmacht in nur zehn Tagen Jugoslawien und deportierte rund 110.000 serbische Soldaten ins Dritte Reich. Hans Kopf vermerkt, dass die französischen Landarbeiter in Mannersdorf am 16. Oktober 1941 in die Brucker Zuckerfabrik abkommandiert und durch Serben ersetzt wurden. Aus dem Nachlass des Belgrader Musikers und Orchesterleiters Hubert Sitar tauchte vor wenigen Jahren ein Fotoalbum auf, das die zwischen den Internierten der verschiedenen Nationen geschlossenen Freundschaften dokumentiert.

Der Überfall Hitlers auf die Sowjetunion stellte die NS-Heeresverwaltung abermals vor enorme logistische Herausforderungen. Hunderttausende Rotarmisten erlagen den erbarmungswürdigen Bedingungen in den FRONTSTALAGS, wo die Gefangenen auf ihre Deportation nach Deutschland warteten. Wer überlebte, trat – oft in offene Viehwaggons gepfercht – die tagelang währende Bahnfahrt in die Lager an.

In den STALAGS belegten die dem NS-Regime verhassten „Bolschewiken“ den untersten Rang der Gefangenenhierarchie. Ihr Schicksal – Vernichtung durch Arbeit, Hunger und Fehlen medizinischer Versorgung – war längst besiegelt. Erschwerend kam hinzu, dass die Sowjetunion dem Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen von 1929 nicht beigetreten war, sodass die Rotarmisten im Gegensatz zu den alliierten Gefangenen der NS-Willkür vollkommen schutzlos ausgeliefert waren. Auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, das regelmäßig Kontrollen in den Lagern durchführte, Lebensmittelpakete verteilte und die Kriegsgefangenenpost abwickelte, konnte an dieser Misere nichts ändern. So verwunderte es nicht, dass allein im STALAG XVIIA 9.500 Rotarmisten (!) ums Leben kamen. Insgesamt dürften annähernd 2 von 3,5 Mio. Rotarmisten in NS-Lagern umgekommen sein!

Nach dem Sturz Mussolini schloss die neue italienische Regierung im September 1943 einen Waffenstillstand mit den Alliierten. Aus ehemals Verbündeten waren plötzlich Feinde geworden und da sich die meisten italienischen Soldaten weigerten, weiterhin auf Seiten der Wehrmacht zu kämpfen, wurden Hunderttausende zur Zwangsarbeit ins Dritte Reich deportiert. Als „Italienische Militärinternierte" (IMI) erhielten sie einen eigenen Sonderstatus zuerkannt, der die Bestimmungen des Genfer Abkommens außer Kraft setzte und die Betreuung durch das Internationale Komitee vom Roten Kreuzes verhinderte. Die erbarmungslose Ausbeutung ihrer Arbeitskraft, Nahrungsmittelentzug und fehlende medizinische Versorgung stellte die Militärinternierten mitunter schlechter als die sowjetischen Gefangenen. In Kaisersteinbruch wurden 96 IMIs auf dem Lagerfriedhof beerdigt, deren Namen erst 2018 im Archiv des Vatikans ausgehoben und nunmehr auf ihrem Gedenkstein verewigt sind.

Mit dem Näherrücken der Roten Armee erging der Befehl des „Oberkommandos der Wehrmacht“ zur Räumung des Lagers Kaisersteinbruch. Am Sonntag, den 1. April 1945 machten sich die marschfähigen Lagerinsassen unter Bewachung auf den Weg zum Sammelpunkt bei Braunau am Inn. Die Route wurde in Dreitages-Märschen mit anschließendem Ruhetag zurückgelegt, während die im STALAG Verbliebenen schon am 3. April von sowjetischen Truppen befreit wurden. Während der folgenden zehnjährigen Besatzungszeit war die Rote Armee Herr des Truppenübungsplatzes und seiner Einrichtungen. Viele der in der Eile zurückgelassenen Personalkarteien gelangten auf diese Weise in sowjetische Archive. Zahlreiche der überlebenden Lagerinsassen mussten sich nach ihrer Repatriierung als angebliche „Kollaborateure“ verantworten. Viele verschwanden – zu jahrelanger Zwangsarbeit verurteilt – in Stalins gefürchteten GULAGs. Unter Gorbatschow kam es endlich zur Rehabilitierung der bis dahin verfemten kriegsgefangenen Veteranen. Endlich wurden auch die Archive geöffnet und viele Familien erfuhren erstmals vom Schicksal ihrer vermissten Angehörigen. Erst 2015 beschloss der Deutsche Bundestag den noch lebenden ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht/eines Rechtsgrundes“ einen symbolischen finanziellen Anerkennungsbetrag zu leisten.

Wurden die im Lager verstorbenen alliierten Kriegsgefangenen zunächst an der Nordseite der Kaisersteinbrucher Pfarrkirche mit Salutschüssen und allen militärischen Ehren bestattet, musste aufgrund der hohen Mortalitätsrate im Winter 1941/42 ein neuer Friedhof angelegt werden. Westlich des Lagerlazaretts (Lager 3) fanden sodann italienische, rumänische, serbische, tschechoslowakische und polnische Kriegsgefangene ihre letzte Ruhestätte. Die hier bestatteten Briten, US-Amerikaner und Franzosen wurden nach dem Krieg exhumiert und in ihre Heimat überführt. Während die Alliierten in Blumen geschmückten Einzelgräbern mit Namensschildern beigesetzt wurden, verscharrte man die Rotarmisten in anonymen Massengräbern, wie einige rare Aufnahmen aus dem Besitz eines ehemaligen Wachsoldaten dokumentieren.

Nach Kriegsende ließ die sowjetische Besatzungsmacht den Lagerfriedhof im September 1947 einebnen und auf Kosten des österreichischen Staates eine parkähnliche Anlage anlegen, innerhalb deren Umfassungsmauer die Badner Steinmetzfirma Alexander Scheerer sechs Kunststeinmonumente platzierte. Die Stelen mit den Inschriften „Russen“, „Italiener“ und „Serben“ wurden in den 1990er-Jahren um weitere Gedenksteine für Polen, Tschechen, Slowaken und Rumänen ergänzt.

 

Die Pflege des Lagerfriedhofs und der rund 1000 heimischen Kriegsgäberanlagen wird vom Verein „Österreichisches Schwarzes Kreuz“ aus Spendenmitteln finanziert. Der Schutz und die Erhaltung der Soldaten- und Kriegsgefangenengräber sind im Staatsvertrag von 1955 festgeschrieben. Und so erinnern das archaisch-monumentale Steinportal und der an der Südseite des Lagerfriedhofes aufragende Obelisk weiterhin an die hier Begrabenen über deren Schicksale die Zeit leider längst den Mantel des Vergessens gebreitet hat! 

Foto 1: Französische Kriegsgefangene bei einem ihrer Auftritte (Archiv Ava Pelnöcker)

Foto 2: „Tirailleurs sénégalais“/Senegalschützen (Archiv Ava Pelnöcker)

Foto 3: Propagandaaufnahmen sollten eine heile Lagerwelt vorspiegeln (Archiv Ava Pelnöcker)

Foto 4: Verschiedene Kriegsgefangene, ganz links ein republikanischer Spanier (Archiv Ava Pelnöcker)

Foto 5: Sowjetische Kriegsgefangene in Kaisersteinbruch (Archiv Ava Pelnöcker)

Foto 6: Serbisch-Orthodoxes Begräbnis am Lagerfriedhof, noch mit militärischen Ehren (Archiv Ava Pelnöcker)

Foto 7: Verscharren toter sowjetischer Kriegsgefangener am Lagerfriedhof (Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands)

Foto 8: Lagerfriedhof vor seiner Umgestaltung (Archiv Ava Pelnöcker)