Online-Gschichtl Nr. 184

Das Mannersdorfer Zementwerk seit 1945

Im vierten und letzten Beitrag zur Entwicklung des Mannersdorfer Zementwerkes widmet sich Michael Schiebinger dem Zeitraum seit 1945.

 

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beanspruchte die russische Besatzungsmacht 1945 Teile des Geländes des Mannersdorfer Zementwerks für sich, so wurde eine Reparaturwerkstatt für Militärfahrzeuge untergebracht. Auch die Gebäude am Perlmooserweg wurden von den Russen requiriert. Die mangelhafte Versorgung mit Kohle führte dazu, dass das Werk immer wieder seinen Betrieb einschränken oder gänzlich einstellen musste. Nach den ersten Schwierigkeiten wurde aber auch der Ausbau des Mannersdorfer Werks unter Direktor Julius Bergmann vorangetrieben. 1947 konnte eine zweite Klinkerhalle eröffnet werden. Zudem wurde die Befeuerung der Öfen nun mit Öl vorgenommen, sodass entsprechende Ölbehälter notwendig wurden.

Der Gedanke der Perlmooser AG für die eigenen Mitarbeiter Wohnraum zur Verfügung zu stellen, zeigt sich bereits in der Zwischenkriegszeit. Dieses soziale Engagement setzte sich nun auch nach dem Zweiten Weltkrieg fort, als Wohnraum dringend benötigt wurde. Die Perlmooser AG entwickelte ein richtungsweisendes wie modernes Wohnprojekt. Am Nordrand des Ortsgebietes sollte eine eigene Wohnsiedlung entstehen. Dazu schrieb die Perlmooser AG im Jänner 1951 einen Wettbewerb aus, der von Roland Rainer, einem der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts in Österreich, gewonnen wurde. Die am 28. Juni 1952 eröffnete Werkssiedlung umfasste in der ersten Bauphase 21 Wohneinheiten, die in Form von eingeschossigen, bungalow-artigen Reihenhäusern errichtet worden waren. Die einfache Bauform erregte aber bald die Gemüter der Bevölkerung und Bewohner, die der Siedlung den Namen „Negerdorf“ verpassten.

In den Nachkriegsjahren wurde die Produktionsleistung weiter gesteigert, 1959 war man bereits bei 560.000 Tonnen Zement angelangt. 1958-59 wurde ein Dickschlammbehälter errichtet und der Drehofen Nr. 6 in Betrieb genommen. 1961 folgte Drehofen Nr. 7. Außerdem ersetzte man die bisherige Drahtseilbahn zwischen dem Steinbruch und dem Werk durch eine Förderbandanlage. 1969 wurde ein neues Ofenaggregat in Betrieb genommen und so die Tagesmenge an Klinker auf 2.100 Tonnen gesteigert. In den 1950er- und 1960er-Jahren kam es auch zum umfassenden Ausbau der Infrastruktur im werkseigenen Steinbruch. Ab den 1960er-Jahren wurden im Bereich des Perlmooserweges und der Tattendorfgasse neue Wohnhochhäuser für die Mitarbeiter errichtet.

In den 1970er-Jahren folgte unter Direktor Ernst Schmidek die Errichtung einer Großzementmahlanlage mit Klinkersilo und der 8. Drehofen. Damals betrug der Werksversand 1.054.000 Tonnen Zement, im Werk Mannersdorf waren 539 Mitarbeiter beschäftigt. Es war somit das größte und modernste Zementwerk Österreichs und hatte eine doppelt so hohe Produktionsleistung wie die Standorte in Rodaun und Kirchbichl. Der Perlmooser-Zement wurde damals etwa beim Bau der Olympiabauten in Innsbruck oder bei der Errichtung des Wiener Donauturmes eingesetzt.

Das Zementwerk verfügte lange über eine eigene Musikkapelle, die bei diversen Feierlichkeiten präsent war. Bis heute besteht hingegen die 1947 gegründete Betriebsfeuerwehr. 1975 erfolgte die Errichtung des Sozialgebäudes, das von Prof. Dr. Karl Schwanzer geplant worden war. Dieser war einer der bedeutendsten Architekten Österreichs im 20. Jahrhundert, von ihm stammen u.a. das BMW-Hochhaus in München (1968-73) und das Philips-Haus (1962-64) in Wien.

1982 wurde unter Direktor Johann Hiettler in Mannersdorf auf Kohlefeuerung umgestellt, während 1984 der 9. Drehofen hinzukam. In einem historischen Bau des Zementwerks wurde 1986 unter Direktor Wilhelm Schönwälder ein eigenes Werksmuseum eingerichtet. 1989 wurde eine kuppelförmige Stahlhalle für ein Tonrundmischbett errichtet, die 18.000 Tonnen Ton aufnehmen kann. Im Zuge der Errichtung des neuen Thermalbades wurde 1987 der sog. „Pyjamahof“ des Perlmooserhofes abgetragen, in dem bisher zahlreiche Werkswohnungen untergebracht waren.

1990 folgte unter Direktor Werner Bittner ein zweiter Klinkersilo, der mit einer Höhe von 60 Metern auf 27.500 Tonnen Material ausgelegt wurde. Anlässlich der Stadterhebung von Mannersdorf fand im Werk 1990 ein Tag-der-offenen-Tür statt. Das Jubiläum „100 Jahre Zement in Mannersdorf“ wurde 1994 unter Direktor Kurt Emler feierlich begangen. Seit 1995 ist das Werk Mannersdorf Teil des französischen Lafarge-Konzernes, der damals die Perlmooser AG übernommen hatte. Harald Höhn wurde nach der Übernahme zum Werksleiter bestellt. Nun wurden die Klinkersilos 3 und 4 errichtet, sowie im Werk ein Prozessleitsystem eingeführt. 1998 kam die Umstellung auf 25-Kilo-Säcke und 1999 wurde eine neue Zugentladung in Betrieb genommen. Es kam zudem zur Ausdehnung des werkseigenen Steinbruchgebietes. Die zahlreichen Werkswohnungen und Immobilien in Mannersdorf wurden in jenen Jahren an die bisherigen Mieter und andere Kaufinteressenten veräußert. Bereits 1995 hatte die Stadtgemeinde den Perlmooserhof übernommen.

 

In den 2000er-Jahren wurde das Werk von Klaus Schenk, Martin Gierse und Philipp Raich geleitet. Seit 2001 kommen in Mannersdorf Ersatzbrennstoffe zum Einsatz, 2005 entstand eine neue Schlackentrocknung. Auch im Steinbruch kam es zu Neuerungen, seit 2010 ist dort bspw. ein neuer Lader im Einsatz. Unter Werksleiter Joseph Kitzweger (2012-17) wurden ein Gaswäscher und der neue Kalzinator in Betrieb genommen. Dieser Vorverbrennungsofen ist der größte und modernste Österreichs. 2015 fusionierten Lafarge und Holcim zu einem neuen Konzern. 2017 feierte die Betriebsfeuerwehr ihr 70-jähriges Bestandsjubiläum. Seit 1.1.2018 wird das Werk Mannersdorf von Christopher Ehrenberg geleitet. Als eines der jüngsten Projekte wurde 2018 die neue Loseverladung umgesetzt. Im Jahr 2019 beging das Mannersdorfer Zementwerk sein 125-jähriges Bestandsjubiläum.

Foto 1: Zementsackverladung (Archiv Lafarge Zementwerk Mannersdorf)

Foto 2: Bau der Förderbandanlage (Archiv Lafarge Zementwerk Mannersdorf)

Foto 3: Elektrobagger mit Muldenkipper im März 1961 (Archiv Lafarge Zementwerk Mannersdorf)

Foto 4: Werkseinfahrt im Jahr 1964 (Archiv Lafarge Zementwerk Mannersdorf)

Foto 5: Neues Versandgebäude und Siloanlage im Jahr 1964 (Archiv Lafarge Zementwerk Mannersdorf)

Foto 6: Neue Schaltwarte (Archiv Lafarge Zementwerk Mannersdorf)

Foto 7: Blick vom Lagerhausturm auf das Zementwerk (Archiv Karl Trenker)

Foto 8: Blick vom Lagerhausturm auf das Zementwerk (Archiv Karl Trenker)

Foto 9: Mannersdorfer Werkskapelle der Perlmooser AG (Archiv Karl Trenker)

Foto 10: Mannersdorfer Werks-/Betriebsfeuerwehr (Archiv Karl Trenker)