Online-Gschichtl Nr. 51

Von Ahnen, Schweden und Drahtziehern

In Mannersdorf gibt es eine Fabriksgasse und in der steht das alte Badegebäude, das als „Perlmooserhof“ bekannt ist, aber auch unter der Bezeichnung „Fabrikshaus“. Der Name kommt nicht von ungefähr, denn nach der Aufhebung des barocken Bades wurde dessen Gebäude als Leonische Drahtzugfabrik genutzt. „Leonische Waren“ sind Metallwaren, die aus vergoldetem oder versilbertem Kupfer hergestellt wurden. Die spezielle Herstellungstechnik stammt aus Lyon, daher der Name.

Johann Amsis, ein treuer Leser der Online-Gschichtln, hat eine besondere familiäre Beziehung zu den Mannersdorfer Drahtziehern, wie er uns im heutigen Gschichtl berichten wird.

 

Es war zwischen Weihnachten und Neujahr 2019, als ich (Johann Amsis) gemütlich in meinem Wohnzimmer saß, die Zeitung gelesen und dazu einen Kaffee getrunken habe. Als das Festnetztelefon geläutet hat, wer ruft am Festnetz an, sicher wieder eine Umfrage oder so. Aber es ließ mir keine Ruhe und ich raufte mich zusammen um abzuheben. Am anderen Ende meldet sich ein Ahnenforscher aus Purkersdorf und fragte, ob ich Johann Amsis bin, er habe mich im Telefonbuch gefunden. Ein möglicher Verwandter aus Schweden sucht noch lebende Personen, die direkte Nachfahren von Johann Amsis sind, der in Mannersdorf gelebt und bei den Leonischen Drahtwerken gearbeitet hat. Der schwedische Herr ist ein ca. 80-Jähriger, der nach seinen Wurzeln sucht. Seine Mutter Melanie Amsis war 1907 geboren worden und kam nach dem Ersten Weltkrieg auf Erholung zu einer Schwedischen Familie. Später als junge Frau kehrte sie nach Schweden zurück, fand dort Arbeit und gründete eine Familie.

Ich hatte von Melanie oder einem Sebastian, nach denen der Ahnenforscher fragte, noch nie gehört, das Ganze war mir etwas suspekt. Meine Eltern hatten mir immer erzählt, dass mein Vater und mein Großvater mit Vornamen Johann hießen, mein Urgroßvater und mein Ururgroßvater Michael waren in Mannersdorf zuhause, der Vater vom Ururgroßvater angeblich aus Wien und die Vorfahren davor kamen aus Ungarn. Und dann gab es noch andere Verwandte, zu denen ich noch näher forschen möchte.

Der Ahnenforscher fragte, ob der vermeintliche Verwandte aus Schweden mit mir per E-Mail kommunizieren darf. Ja, kein Problem, schauen wir mal ob sich der Schwede meldet. So vergingen fast zwei Monate, als ich eine E-Mail bekommen habe. Absender der Schwede mit Vornamen Inge, uijeh, eine Schwedentante und kein Onkel, das ist sicher fake, weil der Ahnenforscher von einem Mann gesprochen hat. Immer vorsichtig sein Hans, habe ich mir gedacht, aber mit jeder Zeile in dem E-Mail wurde mir klar, dass der Vorname Inge in Schweden auch ein Männername ist.

So haben wir einige E-Mails geschrieben, er hat mir Fotos von sich und seinen Enkeln geschickt und so habe ich beschlossen, ihm beim Nachforschen zu unterstützen. Eine Woche vor Corona bin ich auf das Gemeindeamt gegangen, um eine nette engagierte Mitarbeiterin zu bitten, die Geburts-, Heirats- und Totenscheine auszudrucken. Der Wille wäre ja da gewesen, aber die Daten sind nur ab 1939 in der Datenbank abgespeichert. Ja wie findet man die älteren Eintragungen, da muss man auf‘s Pfarramt gehen und in den Kirchenbüchern suchen.

Jetzt hatte mich der Ehrgeiz gepackt, sofort auf‘s Pfarramt, geschlossen, egal nächsten Tag wieder hin und Gott sei Dank auf eine sehr freundliche Mitarbeiterin gestoßen, Beate Schleger. Ich habe ihr die Geschichte von dem schwedischen Verwandten erzählt und dass ich in den Kirchenbüchern nachsehen möchte, ob ich meine bzw. unsere Vorfahren finde.

In den Kirchenbüchern blättern, das geht nicht so einfach, nur in Ausnahmefällen, weil ja die Bücher dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden. Aber es gibt mit Matricula eine Website, da kann man elektronisch alles Mögliche raussuchen, wie Beate mir versicherte. Wenn du Glück hast, gibt es einen Index, wenn du die Geburts-, Heirats- und Sterbedaten hast, ist schon etwas zu finden. Beate zeigte mir dann, wie die Suche funktioniert. Dann kam Corona und ich hatte viel Zeit um auf den Seiten zu forschen. Die Kurrentschrift ist schon eine Herausforderung, aber so nach und nach habe ich einen Eintrag nach dem anderen gefunden.

Sebastian Amsis gab es tatsächlich, er kam am 5. März 1822 in Wien zur Welt, seine Eltern haben am 13. November 1816 in Mannersdorf „kopuliert“, also geheiratet. Sein Vater war „leonischer Drahtzieher“. Da ja in Mannersdorf die Leonische Drahtfabrik war, wie uns Fachlehrer Heribert Schutzbier gelehrt hat, vermute ich, dass Michael Amsis dort gearbeitet hat. 1839 kam der Sohn von Sebastian Amsis, Johann Evangelist zur Welt, zu dieser Zeit war Sebastian Drahtzieher in Weißenbach an der Triesting, wo auch eine Fabrik der Leonischen Drahtwerke bestand. Johann Evangelist war ein lediges Kind, später legitimiert durch die Heirat, der Vater Sebastian war bei der Zeugung gerade einmal 17 Jahre alt!

 

Die einzelnen Geburts-, Heirats- und Sterbefälle der Familie Amsis hier aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Jedenfalls hat sich herausgestellt, dass mein Ururgroßvater Michael und Inges Ururgroßvater Sebastian Brüder und beide bei den Leonischen Drahtwerken beschäftigt waren. Über die Zeitschriftensuche „Anno“ von der Österreichischen Nationalbibliothek habe ich entdeckt, dass es eine Fabrik Leonischer Gold- und Silberspinnerei und Possamentierwaren gab, die ein Johann Amsis in Wien betrieb und die 1851 gegründet worden war. Ich vermute, dass es sich hier um Johann, den Bruder von Michael und Sebastian Amsis handelt, der 1826 geboren worden war. 1886 wurde dem Golddrahtzieher Johann Amsis das Wiener Bürgerrecht verleihen. 1916 ist die Firma von Johann Amsis in Konkurs gegangen, der Inhaber war da schon Franz Welik. Ein weiterer Bruder von Sebastian und Michael, Franz Amsis war wiederum ein Steinmetz und ein ertappter Einbruchsdieb. Und da er so arm war und die Zeiten so schlecht, wollte er lieber im Gefängnis sein, als in Freiheit – verstorben ist er dann 1890 in Mannersdorf. Und durch die Online-Geschichtln fand sich eine Verbindung zur Steinmetzfamilie Hof, mit der mein Urgroßvater verwandt war.


Foto 1: Logo der K.K. priv. Leonischen Draht- und Bortenfabrik Cornides (Archiv Michael Schiebinger)

Foto 2: Das Fabrikshaus mit Schlot zu Zeiten der Fa. Cornides, um 1900 (Archiv Stadtmuseum Mannersdorf)

Foto 3: Das Innere der Fabrikshalle in der Unteren Kirchengasse, heute Volleyballplatz des Thermalbades (Archiv Stadtmuseum Mannersdorf)

Foto 4: Michael Amsis, leonischer Drahtzieher (Matricula, Pfarre Mannersdorf, Trauungsbuch 1788-1834)

Foto 5: Sebastian Amsis, Drahtzieher (Matricula, Pfarre Mannersdorf, Trauungsbuch 1835-1853)

Foto 6: Werbeeinschaltung von Johann Amsis (Welt Blatt  1876)