Online-Gschichtl Nr. 19

Vom Hochgericht

Der Umgang mit Gesetzesbrechern und Verurteilten war in der vermeintlich „guten, alten Zeit“ noch ein gänzlich anderer und jenseits unserer heutigen rechtsstaatlichen Prinzipien. Michael Schiebinger widmet sich heute einem besonderen Kapitel der lokalen Rechtsgeschichte …

 

Das Gerichtswesen war ab dem Mittelalter lokal organisiert, in den meisten Herrschaften gab es ein eigenes Gericht, das für das jeweilige Territorium Recht sprach. Für besondere Fälle gab es in größeren Orten noch Landgerichte, die für einen gewissen Sprengel zuständig waren. Die Herrschaft Scharfeneck-Mannersdorf hatte natürlich auch ein eigenständiges Gericht, das eine besondere Stellung hatte. In Mannersdorf durfte nämlich über Leben und Tod entschieden werden, denn man besaß die „Blutgerichtsbarkeit“. Erst Kaiser Joseph II. hob die Todesstrafe 1787 für die ordentliche Strafgerichtsbarkeit auf. Die aufgeklärte Politik von Joseph II. hatte aber keine lange Dauer, so wurde die Todesstrafe 1803 für schwere Delikte wiedereingeführt. Mit der Aufhebung der Grundherrschaft nach der Revolution von 1848 endete die herrschaftliche Gerichtsbarkeit auch in Mannersdorf – die Funktion übernahmen nun die Bezirksgerichte. Erst in der Ersten Republik wurde die Todesstrafe wieder abgeschafft, um dann in der Ständestaatdiktatur und im Nationalsozialismus eine unheilvolle Rückkehr zu erleben. Seit 1950 ist die Todesstrafe in Österreich für die ordentliche Gerichtsbarkeit abgeschafft, im Standrecht gab es sie noch bis 1968!

Zurück nach Mannersdorf, denn hier haben sich noch Spuren der „Blutgerichtsbarkeit“ erhalten. Im Schloss findet sich am Fresko des Maria-Theresien-Saales eine heute etwas makaber wirkende Darstellung. Zu sehen ist ein Galgen mit einem Delinquenten, flankiert von zwei Richträdern. Es war im 18. Jahrhundert üblich, die Hingerichteten noch Tage nach ihrem gewaltsamen Tod zur Mahnung und Abschreckung an der Richtstätte zu belassen – diese Behandlung konnte einen aufgeklärten Herrscher, wie es Joseph II. war, nicht gefallen haben. Aber warum ließ sich Maria Karolina Gräfin von Fuchs-Mollard diese makabre Szene an die Decke ihres Festsaales malen, zumal alle weiteren Szenen des Freskos das Leben feiern und eine positive Stimmung verbreiten. Nun ja, im Barock waren Leben und Tod kein Widerspruch, man hatte einen sehr lockeren, „katholischen“ Zugang zum Sterben. Mit dem Galgen wollte die Gräfin aber auch ihren Stand und ihre besonderen Rechte den Gästen im Saal deutlich vor Augen führen, die Blutgerichtsbarkeit war ja aus damaliger Sicht ein „Privileg“.

In Mannersdorf ist der Ort der Rechtsprechung, das Gerichtsstöckl, bis heute erhalten geblieben und als Bau präsent. Weniger bekannt sind die beiden Richtstätten, also die Orte, an denen die Todesurteile vollstreckt wurden. Das ältere „Hochgericht“ befand sich auf den Feldern nördlich des Ortes und östlich der Donatikapelle. Die Flur trug schon 1743 die Bezeichnung „bey dem altn Gericht“ und war bis in das 18. Jahrhundert in dieser Funktion. Auch der letzte Weg der Deliquenten ist bis heute überliefert, er hieß „Judenweg“. Der Name leitete sich, folgt man Heribert Schutzbiers Marterlbuch, von „Judas Iskariot“ ab, also jenen Jünger, der Christus verraten hatte. Dieser soll sich ob seines Unglücks selbst erhängt haben, hier wäre ein gewisser Bezug zum Galgen gegeben. Da die Figur des Judas Iskariot aber auch im Christentum lange zur Verunglimpfung des Judentums missbraucht wurde, könnte die Gleichsetzung der zum Tode Verurteilten mit Judas auch antisemitische Wurzeln haben. Der letzte Weg zum Galgen ist jedenfalls noch heute auf Satellitenbildern gut erkennbar. Er beginnt im Industriegelände hinter dem Cholerakreuz, führt dann diagonal über die heutigen Felder und schwenkt dann zur einstigen Richtstätte. Dort erhebt sich seit 1897 die von Georg Gottschy testamentarisch gestiftete Mariensäule. Noch heute spürt so mancher Passant an diesem Ort eine besondere Stimmung, ob es die Hingerichteten sind? Es war nämlich üblich die Gehängten an Ort und Stelle zu „verscharren“, denn in geweihter Friedhofserde durften sie keinesfalls bestattet werden.

 

Die zweite und letzte Hinrichtungsstätte der Herrschaft befand sich in Wasenbruck. Das dortige „Hochgericht“ dürfte wohl nach der Wiedereinführung der Todesstrafe 1803 entstanden sein und befand sich auf dem sog. Türkenbergl östlich der Straße. Die dortige Richtstätte war noch im Biedermeier in Gebrauch, wie der Franziszeische Kataster zeigt. Auch die letzte, dort vollzogene Hinrichtung ist überliefert. Die Tat, die zu dem Todesurteil führte, erregte viel Interesse und wurde sogar in einem eigenen Flugblatt geschildert: Die Mannersdorfer Witwe Barbara hatte den 23-jährigen Knecht Michael Höldl geheiratet. Doch der eheliche Frieden währte nicht lange, schon bald krachte es zwischen den beiden. Am 13. November 1833 kam der Gatte angeheitert vom „Bierhause“ zurück und schlief auf der Ofenbank sitzend ein. Voller Wut nahm Barbara Höldl eine Holzhacke und schlug auf ihren Mann ein. Michael Höldl wurde trotz Gegenwehr mit 32 Schlägen zu Tode gebracht. Barbara steckte ihren ermordeten Gatten in eine Butte, trug ihn zum Mühlbach und warf ihn ins Wasser. Zuhause beseitigte sie alle Spuren und meldete den Gatten vermisst – dennoch kam man ihr auf die Schliche. Michael Höldl ist am 20. November 1834 begraben worden, im Sterbebuch steht dazu: „ist vom eigenen Weibe ermordet, und dann gerichtlich beschaut worden“. Am 10. Februar 1834 wurde Barbara Höldl vom herrschaftlichen Gericht wegen „meuchlerischem Gattenmord“ zum Tode durch den Strang verurteilt. Das Todesurteil wurde am 5. Juni 1834 um 8 Uhr morgens vollstreckt. Das Sterbebuch vermerkt dazu: „für den an ihrem Gatten verübten Meuchelmord mit dem Strange hingerichtet, beerdigt am Türkenbergl nächst der Wasenbrücken“. Der Galgen dürfte spätestens nach dem Ende der lokalen Gerichtsbarkeit um 1850 verschwunden sein. Noch 1906 bestanden hingegen Reste des Türkenbergls zwischen den Arbeiterwohnhäusern an der Wasenbrucker Hauptstraße. Auch er wurde dann abgetragen, ob dabei auch die dort begraben Gebeine zum Vorschein kamen, ist nicht überliefert.


Foto 1: Galgen mit Richträdern, Fresko im Maria-Theresien-Saal, Schloss Mannersdorf

Foto 2: Altes Hochgericht mit der Gottschy-Säule

Foto 3: Gottschy-Säule in den 1930er-Jahren

Foto 4: Wasenbrücke mit dem Türkenbergl als zweite Richtstätte, 1837

Foto 5: Todesurteil gegen Barbara Höldl, Flugschrift von 1834

Foto 6: Ausschnitte aus dem Mannersdorfer Sterbebuch zu Barbara und Michael Höldl

Foto 7: Reste des Türkenbergls in Wasenbruck, 1906

 

Quellen: Archiv Hans Amelin, Michael Schiebinger, Digitales Archiv Stadtmuseum Mannersdorf, Perspectivkarte von Franz X. Schweickhardt, digital.wienbibliothek.at, Sterbebuch Pfarre Mannersdorf