Online-Gschichtl Nr. 132

Die Leopoldskapelle

Die Leopoldskapelle wird heuer erstmals zur Location des Kultursommer Mannersdorf. Für Michael Schiebinger Grund genug, ein wenig die Geschichte dieses besonderen Bauwerks zu beleuchten.

 

Die Leopoldskapelle an der Pforte zum ehem. Klosterareal von St. Anna wurde bereits von Oberst Albert Schatek um 1930/40 in seinem „Führer in die Wüste“ besprochen und erforscht. Der Bau ist noch heute mit seinen nunmehr unverputzten Bruchsteinmauern erhalten, es fehlen jedoch die Gewölbe, das Dach und die Ausstattung. Die Kapellenruine misst etwa 7.5 mal 6 Meter. Nach einer Rekonstruktion von Schatek und den heute noch sichtbaren Baudetails zufolge, besaß das Gebäude im vorderen, westlichen Teil einen Kapellenraum, der die ganze Höhe einnahm. In seinem rückwärtigen, zweigeschossigen Teil bestand ein schmaler Treppenflur, die Sakristei befand sich im Erdgeschoss und darüber waren zwei Gastzellen untergebracht. Noch heute wird die Kapelle von Westen betreten, die beiden kleinen Fenster zu Seiten des Portals ermöglichten bei großen Gottesdiensten den Blick in das Innere. In der Nische über dem Eingang befand sich einst ein auf Kupfer gemaltes Ölbild der hl. Anna. Das Bild war 1758 so stark verwittert, dass es durch eine Freskendarstellung des böhmischen Malers Veit Hrdlicka ersetzt wurde. Der Kapellenraum war gewölbt und hochliegende Fenster sorgten für die Belichtung. Die Seitenwände waren mit Engelsbildern versehen. An der östlichen Stirnwand befand sich der Altar der Kapelle, rechts von ihm gelangte man in den Flur und die Sakristei, letzte war auch von außen zugänglich. Über der Sakristei lagen zwei Gastzellen, die 1769 in eine Pförtnerwohnung umgestaltet wurden.

Die Geschichte und der Bau der Leopoldskapelle sind durch die Klosterchronik gut nachvollziehbar. Anlässlich der Gründung des Klosters 1644 stifteten verschiedene Vertreter des Kaiserhauses und der hohen Geistlichkeit Bauten innerhalb des Areals. Erzherzog Leopold Wilhelm stellte zum Bau der Leopoldskapelle 2000 Gulden zur Verfügung. Er war der 1614 geborene Sohn Kaiser Ferdinand II. und schlug zunächst die geistliche Laufbahn ein. Er wurde Träger hoher geistlicher Würden, u.a. war er Fürstbischof von Passau. Leopold Wilhelm war ein großer Kunstmäzen und ein äußerst gebildeter Mensch. Im Laufe seines Lebens wurde der Erzherzog auch zum Statthalter in den Österreichischen Niederlanden ernannt. Als sein Bruder Ferdinand III. verstarb, unterstützte er seinen gleichnamigen Neffen Leopold I. bei der Erlangung der Kaiserwürde. Leopold Wilhelm verstarb 1662 und ruht in der Wiener Kapuzinergruft.

Für St. Anna in der Wüste wollte Leopold Wilhelm eigentlich eine Einsiedelei zu Ehren des hl. Wilhelm errichten lassen. Der Provinzial der Karmeliten bat den Erzherzog jedoch sich der Kapelle an der Pforte anzunehmen, die nun dem Namenspatron des Stifters, dem hl. Leopold, geweiht wurde. Für die Kapelle ließ Leopold Wilhelm zudem auf seine Kosten in Flandern, das damals zu den Österreichischen Niederlanden gehörte, ein Altarbild des hl. Leopold anfertigen. Der Fertigstellung der Kapelle dauerte bis in die 1650er-Jahre an. János (Johann) Püsky, der zuständige Bischof von Raab/Győr und Erzbischof von Kalocsa stiftete für die Gastzellen im Obergeschoss der Kapelle weitere 1000 Gulden. Die Konsekration der Kapelle erfolgte gemeinsam mit der Weihe des Klosters am 25. und 26. Juli 1654 in Gegenwart des kaiserlichen Hofes und der zahlreichen Gläubigen.

In den folgenden Jahrzehnten wurden immer wieder kleinere Ausbesserungen und Ergänzungen an der Leopoldskapelle und ihrer Ausstattung vorgenommen. Aufgrund ihrer Lage an der Pforte und am Übergang zur Klausur war sie der einzige Bereich des Klosters, der der Bevölkerung zugänglich war. An Sonn- und Feiertagen strömten viele Gläubige zum Hochamt und zur Beichte in die Kapelle. Diese wurde auch zu einem beliebten Andachtsort der Mannersdorfer Badegäste, die ihre Spaziergänge hierher unternahmen. Bittprozessionen aus den umliegenden Ortschaften hatten ihr regelmäßiges Ziel bei der Leopoldskapelle. Im Pestjahr 1713 wurde die Kapelle kurzzeitig für die Bevölkerung gesperrt, um die Einschleppung der Seuche in das Kloster erfolgreich zu verhindern.

Der Andrang zu den Gottesdiensten nahm im frühen 18. Jh. derart zu, dass eine bauliche Vergrößerung der Kapelle vorgenommen werden musste. Am 26. April 1725 wurde der Grundstein zum Erweiterungsbau gelegt. Die Maßnahmen wurden durch Spenden finanziert, auch Maria Karolina Gräfin von Fuchs-Mollard unterstützte das Projekt. Bei der Umgestaltung wurden auch die künstlerische Ausstattung erweitert und der Vorplatz erneuert.

Im Sommer 1744 ließ Gräfin Fuchs an Stelle des alten Kapellenaltares einen neuen errichten. Sie hatte damals auch die drei Altäre der Mannersdorfer Pfarrkirche in Auftrag gegeben. Gegen den allzu prächtig geplanten Altar der Leopoldskapelle erhob jedoch der Prior ob des Armutsgebotes des Ordens seine Bedenken. Der Altar wurde daher einfacher ausgeführt und am Leopoldstag 1744 feierlich geweiht. Die Gräfin stiftete in den Folgejahren noch verschiedene Messgewänder für die Kapelle.

1769 wurden die beiden Gastzellen der Kapelle in eine Pförtnerwohnung umgewandelt, den Grund dafür legte Schatek ausführlich dar. In der Sommerzeit standen die Türen der Kapelle zum Lüften ständig offen, dieser Umstand zog allzu neugierige Besucher an. Und so verschafften sich auch Frauen ungebetener Weise Zutritt zu Bereichen der Klausur. Um den Zugang zur Kapelle und zum Kloster besser kontrollieren zu können, stellten die Mönche einen weltlichen Torwächter ein, der außerhalb der Klausur wohnen musste. So wurde Johann Moßauf, der aus Bad Radkersburg in der Steiermark stammte und viele Jahre beim kaiserlichen Zolleinnehmer Anton Matthias Piazoll in Mannersdorf bedienstet war, vom Prior als Pförtner angestellt. Am 24. Juli 1769 bezog Moßauf seine neue Wohnstätte oberhalb der Kapelle. Der Pförtner wurde vom Kloster versorgt, erhielt eine tägliche Weinration und zu besonderen Anlässen auch kleine Geldgaben. Moßauf, der schon im vorgerückten Alter war, begann nach wenigen Jahren zu kränkeln und verstarb am 20. Dezember 1773. Der Pförtner wurde in der Gruft der Klosterkirche beigesetzt, auf eine Nachbesetzung seines Amtes wurde verzichtet.

Schatek berichtet auch über einen Vorfall in der Leopoldskapelle, der sich im Mai 1777 ereignet hatte. Ein Landstreicher hatte sich damals an die Pforte begeben und begehrte den Prior zu sprechen. Der Fremde gab sich als Chirurg aus, legte dazu falsche Papiere vor und erschlich sich mit mitleiderweckenden Schilderungen das Vertrauen des Klostervorstehers, der ihn in der Pforte bewirten ließ. Als der Landstreicher kurz alleine war, nutzte er die Gelegenheit und nahm eine vergoldete Kelchpatene (Tellerchen) aus der Kapelle an sich. Der Fremde verließ unbehelligt die Pforte, der Diebstahl wurde hingegen erst am Folgetag bemerkt. Als der Mannersdorfer Bartscherer zu den Mönchen in die Wüste kam, erfuhr er von dem Vorfall. Die Personenbeschreibung des Diebes traf auf einen Mann zu, den der Bartscherer kannte und der einen Koffer bei einem Sommereiner Bauern eingestellt hatte. Der Bartscherer begab sich daher rasch nach Sommerein, der Übeltäter war zwar nicht anzutreffen, in dessen Koffer fand sich aber die entwendete Patene, die durch den Sommereiner Pfarrer an das Kloster zurückgestellt wurde. Ein anderer Dieb suchte ebenfalls die Kapelle heim, indem er offenbar in der Nacht durch eines der kleinen Vorderfenster beim Portal in das versperrte Gebäude einstieg. In der Sakristei brach er dann die Schränke auf und suchte nach wertvollen Gegenständen. Da er aber nichts fand, verschwand er wieder. Die beiden kleinen Fenster wurden in der Folge dann vergittert.

Die Kapelle wurde aber auch von ehrsamen, gottesfürchtigen Menschen besucht. In den Jahren bis 1780 kam mehrmals Ágnes Gräfin Esterhazy-Bánffy de Losoncz als Mannersdorfer Badegast in die Kapelle, um hier zu beten. Sie ließ sich stets die als wundertätig verehrte Figur des Jesuleins aus der Klosterkirche in die Leopoldkapelle tragen, da sie selbst die Klausur nicht betreten durfte. Für das Jesulein stiftete die Gräfin ein Kleidchen aus kostbaren Stoffen und 1778 eine vergoldete Krone.

Mit der Aufhebung des Klosters 1784 endete auch die Geschichte des Gebäudes als Andachtsstätte und Gotteshaus. Die Leopoldskapelle wurde profaniert und die Ausstattung entfernt. Einige kleine Ausstattungsstücke werden wohl ihren Weg in die umliegenden Pfarren gefunden haben, über den Verbleib der weiteren Ausstattung ist nichts bekannt. Im Jahr 1795 wurden in der ehemaligen Kapelle Wohnungen für die herrschaftlichen Waldarbeiter eingerichtet. Im hohen Kapellenraum wurde eine Zwischendecke zur Schaffung zweier Wohneinheiten eingezogen. In den 1880er-Jahren wurde die einstige Sakristei noch vom herrschaftlichen Wirtschaftsaufseher Proscher bewohnt. Der fortschreitende Verfall des Daches führte aber um 1885 zu dessen Abtragung. Die rückwärtigen Räume der nun dachlosen Kapelle wurden als Unterkünfte für italienische Arbeiter verwendet, die im Steinbruch der Wiener Union-Baugesellschaft beschäftigt waren. Bald war aber auch diese Nutzung vorbei, denn die Ziegelgewölbe wurden entfernt, um mit dem gewonnenen Baumaterial Umbauten im Meierhof des Mannersdorfer Schlosses vorzunehmen. Von nun bestand die Leopoldskapelle nur mehr aus ihren Außenmauern.

 

Schatek berichtete noch, dass 1928 Pläne der Land- und forstwirtschaftlichen Betriebsgesellschaft bestanden aus der landschaftlich schön gelegenen Ruine ein kleines Quartier für Sommergäste entstehen zu lassen. Den Plan dazu entwarf der Mannersdorfer Baumeister Friedrich Sollak. Das Projekt gelangte jedoch nicht zur Ausführung, da das Bundesdenkmalamt den Baucharakter gefährdet sah und mit der damaligen Weltwirtschaftskrise auch die Geldmittel fehlten. Mit der Errichtung des Naturparks 1986 wurden erste Erhaltungsmaßnahmen gesetzt, die in den letzten Jahren fortgeführt wurden. Im Zuge einer Neugestaltung wurde die Leopoldskapelle zum Startpunkt für die Erkundung der Wüste. Infotafeln zur Geschichte unserer Region wurden angebracht. Die Stirnseite ziert kurioser Weise eine Umrisssilhouette Marc Aurels, der freilich keinerlei Bezug zur barocken Leopoldskapelle oder zur Wüste hat. 2021 wird nun ein neues Kapitel in der langen Geschichte der ehem. Kapelle aufgeschlagen. Die noch heute faszinierenden Bruchsteinmauern werden im Rahmen des Kultursommer Mannersdorf als Bühne und Zuschauerraum dienen – die Ruine am Wegesrand findet vielleicht so wieder mehr Beachtung.


Foto 1: Die Leopoldskapelle heute (Michael Schiebinger)

Foto 2: Der Zustand im Jahr 1689 (Kupferstich von Johann M. Lerch)

Foto 3: Rekonstruktionsversuch von Albert Schatek (Digitales Archiv Stadtmuseum Mannersdorf)

Foto 4: Die Kapelle im Biedermeier (Perspektivkarte, Franz X. Schweickhardt, 1837)

Foto 5: Der Torbogen neben der Kapelle als idyllisches Motiv bei Edmund Adler, um 1900 (Edmund-Adler-Galerie)

Foto 6: Die Kapelle mit Torbogen und Pförtnerhaus (li.), 1912 (Digitales Archiv Stadtmuseum Mannersdorf)

Foto 7: Die Kapelle 1927, noch mit weitgehender Putzfassade (Digitales Archiv Stadtmuseum Mannersdorf)

Foto 8: Ansicht von der Seite, um 1920/30 (Digitales Archiv Stadtmuseum Mannersdorf)

Foto 9: Der Innenraum heute (Michael Schiebinger)