Nachdem wir zuletzt von der Entstehung der Werksiedlung Anfang der 1950er-Jahre erzählt haben, damals eine Vorreiterin in Sachen Ökologie und sozialer Nachhaltigkeit, werden Ava Pelnöcker und Helga Kusolitsch diesmal das Herz des „Negerdorfs“ näher beleuchten – den Grünraum mit Wasserbecken und künstlerisch gestalteter Rutsche von Wander Bertoni, die heute baufällig und verrostet nur mehr als traurige Erinnerung für den einstigen sozialen Charakter der Roland-Rainer-Siedlung steht.
Erst aber noch zum Ursprung des nicht mehr ganz zeitgemäßen Namens: Nachdem gerade die flachgeneigten Dächer ursprünglich das Missfallen erregt hatten, liegt der Bezug zu den afrikanischen Dörfern nahe, die durch die Weltausstellung in den 1880er-Jahren nach Wien gekommen waren. Das „Ashanti-Dorf“ im Prater hatte damals für weites Aufsehen gesorgt. Und der exotische Reiz Afrikas hatte gerade in den 1950er-Jahren Auferstehung gefeiert, wie sich sicher noch viele an schwarze Nippesfiguren und Wandschmuck erinnern. Eine andere Erklärung wäre das „neger sein“, also mittellos im ostösterreichischen Idiom, was aber angesichts des Wohnkomforts der Siedlung, der nur wenigen zugänglich war, unwahrscheinlich scheint. Und dann wäre da noch die schwarze Hautfarbe. Im deutschen Ruhrpott gibt es ein „Negerdorf“, weil die Kumpel immer mit schwarzen Gesichtern aus der Zeche nach Hause kamen. In Mannerdorf könnte es sogar der ganz natürliche dunkle Teint eines der frühen Bewohner gewesen sein, der mit dem Spitznamen „Neger“ bedacht, vielleicht der ganzen Siedlung ihren Namen gab.
Vom wohldurchdachten Wohnkomfort der Reihenhäuser, der den Werksangehörigen der Perlmooser vorbehalten war, haben wir bereits berichtet. In Zeiten, wo die meisten Mannersdorfer*innen noch zum Plumpsklo über den Hof gehen mussten, war nicht nur das innenliegende Wasserklosett eine ungekannte Annehmlichkeit, die mit zum Stolz beitrug, den die jungen Familien für ihr neues Heim verspürten. Entsprechend sorgsam war auch der Umgang mit „ihrer“ Siedlung, jeden Samstag wurden die Wege gekehrt, die Hecken regelmäßig gestutzt, ein eigener Gärtner sorgte für die Grünanlage.
Denn auch der Außenraum war wohl durchdacht und ökonomisch wie ökologisch angelegt. Der Gartenarchitekt Viktor Mödlhammer (1905-1999), Gestalter des Badener Rosariums ebenso wie des Mannersdorfer Stadtparks, hatte gemeinsam mit Josef Oskar Wladar (1900-2002) das pannonische Steppenklima genau studiert und die optimale Bepflanzung für Wind und Wetter gefunden. Vom Windschutzgürtel über die Nutz- und Zierpflanzen in den Privatgärten sowie gemeinschaftlichem Grünraum mit Wasserbecken und Pergola bis hin zum Naturteich, der als biologische Kläranlage diente ‒ das naturnahe gesunde Wohnen in enger Verbindung mit dem Garten trug wesentlich zum Erfolg der Siedlung bei.
Jeden Tag wurde draußen gespielt, die Mütter trafen sich unter der Pergola neben dem „Pool“, einem Planschbecken mit Watkanal für die Kleinen. Dort war auch die äußerst beliebte Wasserrutsche zu finden, den Bewohner*innen als wasserumspülter „Fisch“ in bester Erinnerung. Das künstlerische Kleinod hat der Bildhauer Wander Bertoni (1925-2019) als skulpturale Plastik für den Freiraum inmitten der Anlage in Kunststein mit Mosaikeinlagen gegossen.
Auch er kein Unbekannter, einst als Zwangsarbeiter aus Italien nach Wien verschleppt, hatte er nach seinem Studium bei Fritz Wotruba bald seinen unverwechselbaren Stil entwickelt, jahrzehntelang an der Angewandten unterrichtet und in Winden am See eine alte Mühle zum Skulpturenpark ausgebaut.
In seiner Mannersdorf Arbeit haben Generationen von Kindern den Sommer genossen. Sie sind vergnügt gekraxelt und gerutscht, haben erste Schwimmzüge gelernt oder abenteuerliche Bootsfahrten unternommen. Jahrzehntelang haben die Bewohner*innen mit Unterstützung der Fabrik das Becken instandgehalten, bis es schließlich aufgrund hygienischer Standards und fehlender Investitionen sukzessive dem Verfall preisgegeben war. Erst wurde das Wasser ausgelassen, dann das Becken zugeschüttet, sodass die Wasserrutsche des ursprünglichen großzügigen Umfeldes beraubt und beengt selbst zunehmend zu bröseln begann.
Als Bertoni im Jahr 2005 mit einer Exkursion seiner Skulptur einen Besuch abstattete, war schon von der dringend nötigen Rettung die Rede, allerdings sollte – so der explizite Wunsch des Künstlers – der Standort erhalten bleiben. Denn die Rutsche gehöre nicht ins Museum, sondern sei ein Sinnbild für den sozialen Charakter der Siedlung, das erhalten werden müsse.
Doch leider ist bis heute nichts zur Renovierung getan worden. Sträflich vernachlässigt rostet und bröckelt das Kunstwerk vor sich hin. Das einstige Zentrum des Gemeinschaftslebens hat seine Funktion verloren, vieles hat sich verändert. Aber noch ist es nicht zu spät und bestimmt ließe sich auch für heutige Verhältnisse eine Lösung finden, die sowohl der Skulptur als auch der sozialen Tradition gerecht wird.
Gar nicht auszudenken, man könnte so fortschrittlich wie einst in den 1950er-Jahren einen Wettbewerb ausschreiben, Expert*innen einladen und mit dem Ergebnis die Mannersdorfer Werksiedlung im Jubiläumsjahr 2022 gebührend feiern…
Foto 1: Damenrunde in der Werkssiedlung: Erika Höbl, Rosa Mauthner, Frau Poschalko, Frau Radl, Frau Decker und Frau Sommer (Familie Höbl)
Foto 2: Alfi und Ingrid Höbl auf der Rutsche (Familie Höbl)
Foto 3: Plantschbecken in den 1970er-Jahren (Familie Kopf)
Foto 4: Werkssiedlungsschifffahrtskapitän (Familie Kopf)
Foto 5: Plantschbecken in den 1970er-Jahren (Familie Kopf)
Foto 6: Erstkommunionsmotiv mit Rutsche (Familie Korn)
Foto 7: Ernsti und Günter Berthold sowie Uschi Kaman bei der Rutsche (Familie Korn)
Foto 8: Genügend Platz zum Austoben (Familie Korn)
Foto 9: Unter der Pergola: Frau Nemec, Frau Sommer und Tochter Christl (Familie Korn)
Foto 10: Gepflegter Rasen und in Form geschnittene Hecken (Familie Korn)
Foto 11: Die Siedlung als Postkartenmotiv und Aushängeschild in den 1960er-Jahren (Archiv Mauthner)
Foto 12: Wander Bertoni mit seiner Rutsche, 2005 (Archiv Karl Tschank)