Online-Gschichtl Nr. 105

Die Legende vom Apatschental

Diesmal wird es wieder etwas nostalgisch, denn Johann Amsis nimmt uns mit in das Mannersdorfer Apatschental.

 

Wenn man der Steinbruchstraße Richtung Wüste folgt, kommt man über die schmale Fahrstraße beim Schießplatz vorbei. Einige hundert Meter weiter auf der linken Seite eröffnet sich das sogenannte „Apatschental“. Vor der Erweiterung des Baxa-Bruches, war dieses vom Eingang aus ein wildromantisches Tal, mit einer besonderen Flora und Fauna und wilden, brüchigen Wänden eines alten Steinbruches. Genauso wie Karl May in seinen Büchern das Felsengebirge des Wilden Westens beschrieben hat. Die Kinder meiner Generation, die heutigen Väter und Großväter, waren begeisterte Leser seiner Romane. Keine Geistesgrößen wie Goethe, Schiller, Kleist oder Kant interessierten die breite Bevölkerung, aber Karl Mays Bücher hatte fast jeder zu Hause.

Das Apatschental war damals der Abenteuerspielplatz der Mannersdorfer Kinder, so manche Schlacht zwischen den Apatschen und den Komantschen fand dort statt und die Blutsbrüder hatten alle Hände voll zu tun, um dort Frieden zu stiften und auch zu erhalten. Als der Baxa-Bruch erweitert wurde, hat man den vorderen Teil eingeebnet und eine schöne Wiese angebaut. Im hinteren Teil, so kann man heute auf Satellitenaufnahmen gut erkennen, hat der große Manitu seinen jungen und alten Apatschenkindern einige Zeichen hinterlassen, sodass dieses Tal immer ein Teil des roten Mannes bleibt.

Die Kinder meiner Generation waren fanatische Fans von Winnetou und seinem Blutsbruder Old Schatterhand. Als 1962 der erste Karl-May-Film „Der Schatz im Silbersee“ in den Kinos anlief, waren alle aus dem Häuschen. Fernsehen und dergleichen gab es ja damals nur selten, aber im Kino bei uns in Wasenbruck lief der Film am Freitag, Samstag und Sonntag, sogar mit Kindervorstellung und Zusatzvorstellung am Mittwoch – alle Vorstellungen waren ausverkauft.

Endlich, nach wochenlanger Vorankündigung, war es soweit, ich durfte ins Kino zur Nachmittagsvorstellung. Winnetou war auch nach Wasenbruck gekommen! Im Vorraum bei der Kinokasse waren das Filmplakat und die Vorschaubilder vom „Schatz im Silbersee“ ausgehängt. Heli Wagner saß an der Kinokasse und verkaufte die Eintrittskarten. Links beim Eingang hatte die Familie Walter Wolfgang einen Verkaufsstand, für Chips (früher „Rohscheiben“ oder „Erdäpfespäutl“ genannt), Solletti, Stollwerkzuckerl, Schokolade, Schnitten etc. aufgestellt, wo natürlich auch etwas gekauft wurde. Dann ging endlich die Tür auf und wir konnten unsere Plätze auf den Klappstühlen einnehmen, im linken hinteren Eck und vorne rechts bei der Leinwand stand je ein Kanonenofen, der im Winter mit Kohle oder Koks beheizt wurde. Herr Lima ging mit einer großen Flitspritze aus Messing durch den Raum und versprühte damit Tannenduft, der dem Wildwestabenteuer das richtige Fleur gab. Die beiden großen Kronleuchter an der Decke mit den vielen weißen eierförmigen Lampen und die seitlichen Doppellampen verbreiteten ein angenehmes Licht. Für mich war es als Kind nicht vorstellbar, wie man an einer so hohen Leuchte die Lampen tauschen kann.

Musik erklang, der aktuelle Hit von Marika Kilius, „Wenn die Cowboys träumen“, stimmte die Besucher auf den kommenden Abenteuerfilm ein. Die Lampen gingen aus, der Vorhang öffnete ein Stück, sodass auf der weißen Leinwand, die Dias mit den Filmvorankündigungen gelesen werden konnte. Da das Kino später vom Volksbildungsverein betrieben wurde, kam auch noch, für uns Kinder eine unendliche Qual, die Austria-Wochenschau, die hat sich gezogen hat wie ein Strudelteig. Der Vorhang begann sich zu bewegen und endlich begann der Film. Schnell gingen zwei Stunden voller Abenteuer vorbei und wir waren enttäuscht, dass es schon wieder zu Ende war. Die Winnetou-Filme hatten eingeschlagen wie eine Bombe, nach und nach gab es einen Teil nach dem anderen. Auch das Geschäft mit den Sticker-Sammelalben lief prächtig.

Und die ganzen Filmabenteuer haben natürlich auch die Wasenbrucker Kinder in ihrer Phantasie beflügelt. Also die Silberbüchse ausgepackt und in die Leithaau zum „Rio Pecos“, wo wir unsere eigenen Abenteuer erlebten. Eines schönen Herbsttages bin ich mit meinen Cousinen in die Au wieder einmal Winnetou spielen gegangen, bis zum Heulen der Fabrikssirene um 18:00 Uhr durften wir ausbleiben. Diesmal wollten wir Old Schatterhand, der von den Komantschen gefangen und an einen Baum gebunden worden war, befreien. Gesagt getan, Old Schatterhand wurde mit einem Schnürl aus der Fabrik an einen dicken Baum gebunden. Winnetou und Nschotschi schlichen sich an, um Old Schatterhand zu befreien, aber auf einem herbstlichen Waldboden mit dürrem Laub und Ästen ist das gar nicht so leicht. Wir versuchten unser Glück, Old Schatterhand sagte aber: „Ih hea eich“. Also das ganze Prozedere wieder von vorne und Old Schatterhand hatte ein verdammt gutes Gehör. Plötzlich hat die Fabrikssirene zum Arbeitsschluss geheult und wir mussten schnell nachhause. Im Eifer hatten wir aber auf Old Schatterhand vergessen, der Stand nun ganz allein mitten in der Au, an einen Baum gefesselt, mit einem besonders starken Schnürl angebunden. Wenig später erklang schon der mütterliche Ruf durch die Au: „Wo is de Kanäule scho wieda?!“ Old Schatterhand war ob der Bezeichnung „Kanäule“ schwer beleidigt und schmollte still am Baum gefesselt. Die Mutter aber hatte ein geschultes Adlerauge, daher Old Schatterhand schnell gefunden und ihn mit ihrem „Grodnfeil“ schnell befreit.

 

Heute erinnert noch einiges in Mannersdorf an den Hype von damals, das Apatschental natürlich und wenn das Wort „Pueblosiedlung“ fällt, werden vermutlich die alten Apatschen aus dieser Zeit wissen, welche Ortseinfahrt gemeint ist. Auch die Kinder in Wasenbruck liebten die Karl-May-Filme, als Winnetou im dritten Teil starb, ist so manche Träne im Park unweit des Kinos geflossen. Da unser Winnetou, Pierre Brice, 2015 für immer seine Augen geschlossen hat, hoffe ich, dass er in den ewigen Jagdgründen ein gutes zu Hause gefunden hat – danke für die schönen und spannenden Filme der 1960er-Jahre!


Foto 1: Das Mannersdorfer Apatschental (Johann Amsis)

Foto 2: Der "Winnetou-Hype" erreichte auch Mannersdorf und Wasenbruck (Archiv Johann Amsis)

Foto 3: Zeichen des großen Manitu im Apatschental (Johann Amsis)

Foto 4: Die Abenteuer von Winnetou und Old Schatterhand beflügelten die Fantasie der Kinder (Archiv Johann Amsis)

Foto 5: Noch heute ein wildromantisches Tal ... (Archiv Johann Amsis)