Im zweiten Teil zur lokalen Begräbniskultur von Wasenbruck stehen die Festlichkeiten um Allerheiligen und Allerseelen im Mittelpunkt. Michael Schiebinger konnte auch diesmal auf die Erzählungen von Johann Amsis zurückgreifen.
Wenn es um das Gedenken an unsere Verstorbenen geht, dann kommt uns der Allerheiligentag in den Sinn. Allerheiligen selbst, wie der Name schon verrät, ist das kirchliche Fest zu Ehren aller Heiligen. Der eigentliche Totengedenktag ist aber der Folgetag, Allerseelen, wo das Gedächtnis an die verstorbenen Seelen im Mittelpunkt steht. Im 20. Jahrhundert hat sich diese Trennung immer mehr aufgehoben und beide Tage wurden in das alljährliche Totengedenken einbezogen.
In den 1950er- und 1960er-Jahren waren Allerheiligen und Allerseelen noch besondere Festtage, denen man sich auch in Wasenbruck nicht entziehen konnte. Trotz der Distanz zur Amtskirche fand sich die hiesige Bevölkerung zum Totengedenken ein, aber eben in „profaner“ Art und Weise. Der Zweite Weltkrieg war damals noch nicht lange her und fast jede Familie hatte den Verlust eines oder mehrerer Angehöriger zu beklagen. Die Väter, Söhne und Brüder waren vielfach weit entfernt Opfer des Krieges geworden und meist in der Ferne bestattet worden. In Pischelsdorf standen wenigstens ihre Namen auf den Familiengräbern und so gab es einen Ort, an dem getrauert und das Trauma des Verlustes verarbeitet werden konnte.
Die Alten und Kranken, die den damals noch beschwerlichen Weg zum Pischelsdorfer Friedhof nicht mehr schafften, blieben zuhause. Alle anderen Ortsbewohner „rückten“ mit Kränzen, Buketts, Blumen und Kerzen aus. Bereits in den Tagen vor Allerheiligen wurde in der Konsum-Filiale der notwendige Grabschmuck zum Kauf bereitgehalten.
Der Weg nach Pischelsdorf führte durch die Au, mit dem Grabschmuck ging man zu Fuß zum Friedhof, Autos waren ja noch sehr wenige vorhanden. Je nach Wetterlage war es neblig und eiskalt oder herbstlich sonnig, manchmal musste man sich schon durch den ersten Schnee kämpfen, die Wege waren ja nicht geräumt. Die Wasenbrucker hatten ihr Feiertagsgewand hervorgeholt, die Männer mit Mantel, Anzug, Krawatte und Hut, die Frauen mit Kleid, Hut oder Kopftuch. Am Morgen ging es mit den Kindern los, mit allen Utensilien in Händen, aus dem Ort hinaus bis zum Leithadamm. Den Kindern wurde der Weg verkürzt, indem Geschichten von Früher erzählt wurden, besonders aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Und so ging es bis zur Wehr, das den Kindern nicht so geheuer war. Der Steg bei der Wehr über den Fluss hatte nur auf einer Seite ein Geländer und unten rauschte das Wasser bedrohlich durch. Fest die Hand der Eltern packend schafften es die Kleinen dann doch über den Fluss und weiter ging es auf der Pischelsdorfer Seite. Das Herbstlaub duftete und das indische Springkraut mit seinen violetten Blüten zog das Interesse der Kinder an. Nach gut zwei Kilometern Wegstrecke war man endlich in Pischelsdorf beim Friedhof angelangt.
Auch hier vermieden die Wasenbrucker tunlichst, dem Herrn Pfarrer „in die Hände zu fallen“, wie es Johann Amsis ausdrückte. Die Opposition zur Amtskirche machte es notwendig, vor dem Friedhof zu warten, wenn gerade die kirchliche Gräbersegnung im Gange war. Nicht nur die Wasenbrucker zog es zu ihren Familiengräbern, von überallher kamen die Friedhofsbesucher geströmt. Die meisten Auswärtigen kamen mit dem Dampfzug angereist und mussten mitsamt den Kränzen und Blumen zu Fuß die drei Kilometer vom Götzendorfer Bahnhof zum Friedhof spazieren. Der kleine Pischelsdorfer Friedhof „platze“ aber nicht nur ob der großen Menschenansammlung, sondern war mit Grabschmuck überhäuft worden. Besonders bei großen Familien wollte es sich keiner nehmen lassen, einen eigenen Betrag zum Grabschmuck zu leisten – so manches Grab war da viel zu klein geworden. Auch heute kommt man nicht umhin, hinter der jährlichen „Grabbehübschung“ einen insgeheimen Wettbewerb mancher Grabbesitzer zu vermuten. Böse Zungen mögen sich hier fragen, ob so mancher Verstorbene diese Häufung an „Liebesgaben“ auch zu Lebzeiten erhalten hatte und ob man Liebe und Dankbarkeit durch die Größe der Blumengestecke und die Anzahl der Kerzen aufwiegen kann?
Aber zurück in die Vergangenheit und das Geschehen am Pischelsdorfer Friedhof. Dort kam es zwischen den ganzen Gestecken und Kerzen auch zu willkommen Begegnungen mit alten Bekannten und Verwandten, die man lange nicht gesehen hatte und mit denen man die Neuigkeiten austauschen konnte. Die damals noch spärliche Mobilität und die bescheidenen finanziellen Mittel ließen es ja meist nicht zu, dass man weiter entfernt lebende Familienmitglieder und Bekannte häufig sah.
Nach dem Gräbergang am Friedhof zog es die Wasenbrucker dann noch zum „Banawirt“, wo man sich für den Rückweg stärkte. Die Kinder bekamen ein Kracherl, ein Bierstangerl oder ein Brezerl, die Erwachsenen gönnten sich ein Vierterl Wein oder ein Krügerl Bier – so sollten sich die bisherigen Mühen doch noch lohnen. Und weil man beim Hinweg so brav war und mittlerweile so müde, konnten die Eltern dann doch erweicht werden und die Kinder wurden wenigstens ein Stück des Rückweges getragen.
Manches hat sich heute zu Allerheiligen und Allerseelen geändert, Halloween muss man erst gar nicht erwähnen. Anderes blieb hingegen bestehen, betritt man heute den kleinen Friedhof von Pischelsdorf und schlendert man durch die übersichtlich gehaltenen Gräberreihen, so erfährt man noch immer viel über die lokale Geschichte. Liest man die Inschriften, dann erkennt man zahlreiche, bekannte Wasenbrucker Familiennamen. Einige Gräber bestehen bereits seit Jahrzehnten, andere sind noch relativ jung oder wurden zumindest neugestaltet. Trotz des Umstandes, dass viele Wasenbrucker Verstorbene mittlerweile auch in Mannersdorf ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, blieb der Pischelsdorfer Friedhof doch als traditioneller Begräbnisort bestehen.
Foto 1: Die Wehr am Weg nach Pischelsdorf (Archiv Johann Amsis)
Foto 2: Hier führte der Gräbergang über die Wehr (Archiv Johann Amsis)
Foto 3: Müllerstraße aus Wasenbruck und Wehrgasse am Ortseingang beim Pischelsdorfer Friedhof (Michael Schiebinger)
Foto 4: Blick in den Pischelsdorfer Friedhof (Michael Schiebinger)