Neben den Pfarrherren und den Lehrern zählten einst die Richter und die Ratsherren zu den „Honoratioren“ der ländlichen Märkte und Dörfer. Der zweiteilige Beitrag von Michael Schiebinger ist daher den Mannersdorfer Marktrichtern gewidmet.
Im Mittelalter hatte sich in den habsburgischen Ländern schrittweise ein System der Verwaltung und Gerichtsbarkeit in den Dörfern, Märkten und Städten etabliert. Anders als im modernen Rechtsstaat kam es dabei aber zu keiner Gewaltentrennung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit lag meist in den Händen derselben Protagonisten. Auch waren die Verwaltungsstrukturen noch unterschiedlich aufgebaut, so gab es noch keine selbstständigen Gemeinden im heutigen Sinn. Die Ortschaften waren stattdessen in Grundherrschaften zusammengefasst. Diese Herrschaften unterstanden stets einem Adeligen, einem Kloster oder einer anderen Institution. In jedem Dorf bestand die Verwaltung aus einem Dorf- oder Ortsrichter, der Dorfoberhaupt, Richter und Verwaltungsbeamter in einer Person war. Er wurde von der Dorfbevölkerung auf dem „Banntaiding“ (Rechtsversammlung) für ein Jahr gewählt und musste in seinem Amt erst vom Herrschaftsinhaber bestätigt werden. Die Richterwahl mit dem Banntaiding wurde meist an einem hohen Feiertag vorgenommen und mit einem vorausgehenden Gottesdienst verbunden – nach der Wahl hatte der Richter einen Eid abzulegen. Besaß man wie in Mannersdorf das Recht der Blutgerichtsbarkeit, so musste der Richter in Wien den „Blutbann“ (Recht zur Verhängung der Todesstrafe) verliehen bekommen. Am Banntaiding selbst hatte der Dorf- oder Marktrichter die Finanzgebarung vorzulegen, so wie die Kirchenväter die Rechnungen der Pfarre offenzulegen hatten. Auch über Beschwerden und Klagen wurden während der Tagung entschieden. Die Richter waren dabei keine Rechtsgelehrten, sondern Bauern und Handwerker, die sich die Rechtsnormen autodidaktisch beibringen mussten. In allen Entscheidungen unterlag der Dorfrichter letztlich der Herrschaftsverwaltung und dem Willen des Herrschaftsinhabers. Aufgabe des Richters und der Ortsobrigkeit war es auch, regelmäßig die Grenzen des Ortes zu begehen, die mit Steinen und Pfählen markiert wurden. Dieser „Hottergang“ leitet sich vom ungarischen Wort „határ“ ab, das Grenze bedeutet.
Ähnlich wie in den Dörfern war die Situation in Märkten und Städten, wo entsprechend Markt- und Stadtrichter amtierten. In den größeren Marktorten und in allen Städten bestand auch Beratungsgremien. Diese wurden aus einem „Äußeren Rat“ und einem „Inneren Rat“ gebildet, ersterer war ein Art „Gemeinderat“ und letzterer die „Regierung“. In beide Ratskammern wurde man berufen, aus ihrer Mitte haben die Ratsherren dann meist den jeweiligen Richter gewählt – das System war also bereits elitärer als in den Dörfern. Die Verwaltung selbst bestand meist aus einem Schreiber und verschiedenen Funktionsträgern. Getagt wurde zunächst in Privathäusern, erst später entstanden eigene, namensgebende Rathäuser. Dieses System blieb bis Joseph II. bestehen, unter ihm wurde Ende des 18. Jahrhunderts für die Städte die Position eines Bürgermeisters geschaffen. Durch die Reform wurde die Gerichtsbarkeit des Stadtrichters und die Verwaltungsfunktion des Bürgermeisters getrennt. In den meisten Märkten und in allen Dörfern blieb das alte System der Richter bis zum Ende der Grundherrschaft nach 1848 bestehen. Erst 1850 wurden die Gemeinden so „konstituiert“, wie wir sie heute kennen, mit Bürgermeister und Gemeindeausschuss.
Um 1500 wurde Mannersdorf als Markt bezeichnet, somit musste damals bereits das Amt des Marktrichters bestanden haben. Neben der eigentlichen Ortsgerichtsbarkeit saß in Mannersdorf auch ein Landgericht, dessen Sprengel das Herrschaftsgebiet mit den Orten Au, Hof, Mannersdorf und Sommerein umfasste.
Das bisherige Wissen um die Mannersdorfer Marktrichter, ihre Biografien und ihr Wirken ist sehr beschränkt. Schuld daran ist auch der Umstand, dass unsere Vorfahren in Mannersdorf – im Vergleich zu anderen Gemeinden – besonders schlampig mit den Schrift- und Archivbeständen der Gemeindeverwaltung umgegangen sind.
In der Zeit der Renaissance ist im Jahr 1566 erstmals ein Mannersdorfer Marktrichter namentlich fassbar, er hieß Leonhart Altenstadler. Er war ein bekennender Protestant und ein „Kind der Reformation“, wie sich in den konfessionellen Konflikten zeigen sollte. Im Jahr 1578 wandte sich nämlich die katholisch gebliebene, kroatische Bevölkerung von Mannersdorf an den Landesfürsten, da seit der Reformation vieles in „Unordnung gekommen ist“. Unter den Herren von Polheim hatte sich der Protestantismus auch in der Herrschaft Scharfeneck durchgesetzt und die Herrschaftsinhaber stellten einen lutherischen Prediger an. Der katholische Pfarrer wurde von der deutschsprachigen, nun mehrheitlich protestantischen Bevölkerung nicht anerkannt, wohl aber von den Kroaten. Auch Marktrichter Leonhart Altenstadler musste sich deshalb in Wien verantworten und gab zu Protokoll, dass er den katholischen Pfarrer zwar respektieren, aber nicht als seinen Geistlichen ansehen würde, da er von Jugend an lutherisch erzogen worden sei. Der Marktrichter und die anderen Gemeindevertreter wurden wegen ihrer „uneinsichtigen“ Haltung zu Arbeiten im Wiener Stadtgraben verurteilt. 1584 wurde der Marktrichter mit anderen Honoratioren nochmals vorgeladen und zu ihrer weiterhin antikatholischen Haltung befragt. Dabei wurde auch festgestellt, dass in Mannersdorf nur ein Richter für beide Sprachgruppen amtierte. Noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts blieben diese konfessionellen Spannungen bestehen, so gingen der Marktrichter und der Fleischhauer von Mannersdorf besonders flegelhaft mit dem katholischen Schulmeister um.
Erst in der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs ist mit D. Samic im Jahr 1634 wieder ein Mannersdorfer Marktrichter namentlich belegt. Dann reißt das Wissen wieder einige Jahr ab, 1652 und 1654 scheint Andre Suechentrunk als Marktrichter auf. 1655 bis 1656, 1658 und 1660 bis 1663 amtierte dann Ludwig Tinagl sowie im Jahr 1659 Hans Thomasch – hier zeigt sich, dass die Funktionsperiode jeweils auf ein Jahr beschränkt war und oftmals Wiederwahlen stattfanden. Marktrichter Tinagl stiftete während seiner Amtszeit einen Tabernakelbildstock, dessen Schaft heute sekundär im Hof des Hauses Hauptstraße 23 steht und mit seiner Inschrift an den Mannersdorfer Amtsträger erinnert. 1664 bis 1666 dann war Paul Heppel Marktrichter, 1668 bis 1669 folgte Lorenz Daniel. 1671 amtierte Michael Kumer und 1675 bis 1677 war Michael Renkert Marktrichter. Für einzelne Jahre fehlen die Angaben zu den Amtsträgern gänzlich, so auch für die beiden letzten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts.
Fortsetzung folgt …
Foto 1: Das Mannersdorfer Gerichtsstöckl war eine der Arbeitsstätten des Marktrichters (Michael Schiebinger)
Foto 2: Die Marktrichter übten auch den "Blutbann" aus (Darstellung der Mannersdorfer Richtstätte am Fresko des Maria-Theresien-Saales, Hans Amelin)
Foto 3: Im 16. Jh. amtierte der protestantische Marktrichter Leonhart Altenstadler, der den katholischen Pfarrer nicht anerkannte (Pfarrkirche Mannersdorf, Ausschnitt aus dem Kupferstich von Jacob Hufnagl, 1618)
Foto 4: An Marktrichter Ludwig Tinagl erinnert der fragmentarische Bildstock im Hof des Hauses Hauptstraße 23 (Karl Trenker)