Im zweiten Teil seines Beitrages zur Kindheit in Wasenbruck widmet sich Hans Amsis diesmal der Zeit nach 1945.
In Wasenbruck brachte man auch die Kriegsjahre mit vielen Entbehrungen und schmerzlichen Erfahrungen hinter sich. Die Kinder und Jugendlichen der Zwischenkriegszeit sind erwachsen geworden, gründeten Familien und wollten, dass ihre Kinder von nun an in einer friedlichen Welt aufwachsen. Die erste Zeit nach dem Krieg brachte es mit sich, dass aufgrund der Mangelernährung viele Fehl- oder Todgeburten auftraten. Ab den 1950er-Jahren hat sich die Lage dann aber rasch verbessert.
Dass die großen Kinder auf die kleinen aufpassen mussten, war noch immer gang und gäbe. So war einmal eine größere Anzahl an Kindern bei der Tiefen Leitha hinter der Fabrik spielen. Ein kleines Mädchen fiel plötzlich in das Wasser, doch keines von den Kindern bemerkte das Geschehen. Das Mädchen ging unter und ertrank – ein Ereignis, dass auch bei den Kindern seine Spuren hinterließ.
Es gab aber auch schöne Momente, denn die jungen Familien wollten nach der Kriegszeit ihren Kindern etwas bieten. Uns Nachkriegskindern wurde schon so einiges geboten, nicht nur von den Eltern, sondern auch von der Fa. Hutter und Schrantz, vom dortigen Betriebsrat und in erster Linie von den Wasenbrucker Kinderfreunden. Jeden Sonn- und Feiertag gab es etwa im Kino nachmittags eine Kindervorstellung. So konnten wir viele vergnügliche Stunden mit Dick & Doof, Winnetou, Fuzzy, Yogi-Bär und den Märchenfilmen zu den Gebrüdern Grimm verbringen. Als sich das Fernsehen Anfang der 1960er-Jahre verbreitete, wurde auch in Wasenbruck der erste Fernseher angekauft. Dieser befand sich im Kinosaal in einer Kiste verpackt, wurde bei Bedarf herausgenommen, auf die Kiste gestellt, die Antenne mühsam eingerichtet, das Bild „hod griaslt, oda gschneibt auf tausend, owa wuascht“ und am Mittwochabend durften wir dann den Kasperl anschauen.
Das ganze Jahr hindurch wurde den Wasenbrucker Kindern kaum fad, so war es schon am 1. Jänner Brauch, dass die Kinder Neujahrwünsche an die Verwandtschaft überbrachten. Beim Neujahrsspaziergang wünschten wir den Vorbeikommenden ebenso ein gutes Neues Jahr und bekamen dafür dann auch so manche Belohnung. Im Jänner wurden vom Betriebsrat Fahrten in die Wiener Stadthalle, zur Wiener Eisrevue oder zum Zirkus „Artisten Tiere Attraktionen“ organisiert. Der Höhepunkt in dieser Zeit war aber ein Rodel- oder Skiausflug mit dem Autobus. Dann ging es mit den Kinderfreunden auf den Semmering, alleine die Fahrt in die hohen Berge war ein Erlebnis.
Das nächste große Ereignis im Jahreslauf war der Kinderball, wo man versuchte mit kompletter Maskierung unerkannt zu bleiben. Und so wurde schon zuhause, im Geheimen, an den Masken gearbeitet. Im Kinderheim und in der Schule wurde hingegen fleißig an der Dekoration gebastelt. Am Faschingssonntag war es dann soweit und der Saal war gerammelt voll. Am Aschermittwoch kam dann das Faschingsverbrennen, das von uns Kindern oft gar nicht lustig empfunden wurde. Mit der weinenden Witwe und den laut klagenden Leuten wussten viele Kinder nicht, ob es ernst gemeint war oder nur Spaß. Zwischen Aschermittwoch und Ostern wurden von den Kinderfreunden des Öfteren Busfahrten ins Schwadorfer oder Schwechater Hallenbad organisiert, was auch gerne angenommen wurde.
Zwei, drei Wochen vor Ostern wurde im Kindergarten und in der Schule mit dem Basteln von Osterdekorationen begonnen. Am Karsamstag wurden die Kleinen von den Kinderfreunden eingeladen, auf der Heimwiese, im Kinderheimgarten oder in der Wiese, wo heute der Sportplatz ist, die vom Osterhasen versteckten Osternesterl zu suchen. Am Ostersonntag wurden die Eier für die Kinder dann zuhause oder im Seibersdorfer Grafenwald versteckt.
Nach Ostern kam schon bald der Muttertag und da gab es auch einiges zu basteln. Tante Maria studierte mit den Kindern Gedichte für den Muttertag ein und für die Muttertagsfeier wurde ein kleines Theaterstück geprobt. In manchen Jahren gab es eine Maikäferplage, die die Wasenbrucker Gärten heimsuchte. So wurde von Direktor Oels angeordnet, dass die Kinder am Samstag nicht in die Schule, sondern zum Maikäfersammeln kommen sollten. Auch in den Wiener Prater kamen wir im Frühsommer hin und wieder, die Kinderfreunde oder der Betriebsrat organisierten diese Ausflüge. Der Bus der Firma Mayer aus Hof war da bis auf den letzten Platz besetzt. Der Prater von damals hatte schon seinen Reiz mit der Musik, die bei den Ringelspielen und Karussellen ertönte. An einer Ecke des Praters stand ein Werkelmann, der mit einer Kurbel eine Walze drehte und damit eine Art Orgelmusik erzeugte. Heute unvorstellbar, aber auf diesem „Werkel“ hatte der Musikant ein Berberäffchen sitzen, das für ihn mit einem Hut ein paar Schillinge von den Passanten einsammelte. Wir Kinder hatten gerade Napolischnitten in den Händen, als wir das Äffchen bewunderten. Wie es das Geld einsammelte, hat es diese Schnitten gesehen und bettelte darum. Man konnte ihm diesen Wunsch irgendwie nicht verwehren und das Äffchen bekam ein Stück. Dea Off woa owa a Gretzn! Er nahm die Schnitte, zerlegte sie feinsäuberlich, leckte die Schokolade aus der Schnitte und den Rest hat er uns dann nachgeschmissen. Von den Praterfahrten sind mir immer noch die Schwanenbahn, die Hochschaubahn, die es wohl noch heute gibt, das Autodrom und – wie könnte es anders sein – die Geisterbahn in Erinnerung. Kulinarisch gab es bei solchen Ausflügen a Paal Fraunkfuata mit Senf, Kren, ana Semme und a Schartner Bombn.
Ende April wurden in den Jugendgruppen schon die künstlichen roten Nelken für den ersten Mai gebastelt. Beim Maibaumaufstellen wurden diese mit den Lampions und den Fackeln verkauft. Für die Kleinen wurden Maibuschen gebastelt, die mit Krepppapier geschmückt wurden. Die Kindergruppe mit den Maibuschen und die „Blauhemden“ mit den Lampions gingen an der Spitze des Fackelzuges, gleich danach die Jugendlichen mit den schweren roten Fahnen und der Blasmusik.
Gegen Schulschluss wurde noch ein Schulausflug unternommen, bei dem auch die Kindergarten- und Hortkinder teilnahmen. Meist ging es zu Fuß in die Wüste, zur Ruine Scharfeneck oder sogar bis zur Kaisereiche. Mit den grünen „kleinen Jägerrucksäcken“ bepackt, gefüllt mit einer harten Dauerwurst, Brot und einem Becher, um beim Bacherl oder dem Fuchsnbründl zu trinken, einer Regenhaut und einer Weste wurde ausgerückt. Auf der Wiese vor dem Kloster wurde gerastet, „de Bockalhauna“ haben ihre bunten schönen Federn zu einem riesigen, beeindruckenden Kreis am Hinterteil aufgestellt. Todmüde ging es dann am späten Nachmittag wieder zu Fuß nach Hause.
Mit Abschluss der Schule, also mit 14 Jahren, begann für die meisten der Ernst des Lebens, man musste arbeiten gehen. Für diese 14-Jährigen hatte man noch etwas Besonderes vor, die „Jugendweihe“ – als Pendant zur katholischen Firmung. Man organisierte einen Bus nach Wien, was an sich schon besonders war, denn man kam einmal aus dem „verschlafenen“ Wasenbruck in die große Stadt. Die Jugendlichen wurden meist das erste Mal in ihrem Leben ins Theater eingeladen, in meinem Fall war es eine Vorstellung im Theater der Jugend mit dem „gestiefelten Kater“. Die nächste Station war eine Besichtigung des Parlaments, um den Jugendlichen die Wichtigkeit der Demokratie, nach den vielen Jahren der Unterdrückung durch die Nazis, zu verinnerlichen. Als Abschluss der Jugendweihe gab es auch wieder einen Besuch im Wurstelprater.
Mit dem Beginn der Ferien wurden viele Kinder ein oder zwei Wochen auf Erholung geschickt, nach Innermanzing, Payerbach oder manchmal sogar nach Italien. Die Daheimgebliebenen genossen inzwischen die jährliche Bachkehre, um dem Bagger zuzusehen oder das zum Vorschein gekommene Flussbett zu erkunden. Manche Familien fuhren nun auch selbst in den Urlaub, etwa ins Rax-Schneeberg-Gebiet. Der Rest des Sommers wurde an der „Schottasür“, der Wasenbrucker Côte d'Azur, verbracht. Wenn die heißen Nächte wieder kühler wurden, kam der letzte Sonntag im August mit dem Reisenberger Kirtag. Zu Fuß ging es dann in den Nachbarort, am Heldenplatz standen das Ringelspiel und die „Schiffalhutschn“. Ah Kracherl und ah Biastangal erhielten wir Kinder bei einem der Wirte – hundsmiad sama wieda ham. Am Sonntag vor Schulbeginn, wurde der „Tag des Kindes“ gefeiert, mit Spielen am heutigen Sportplatz.
Im Herbst organisierten die Kinderfreunde wieder Fahrten in ein Hallenbad, Heimabende fanden ebenso wieder statt. Manchmal, wenn Winnetou in die Wiener Stadthalle kam, um seine Abenteuer zu zeigen, wurden auch dorthin Ausflüge unternommen. Dann kam Allerheiligen und die ganze Familie ist zu Fuß zum Pischelsdorfer Friedhof gegangen, um die Gräber zu schmücken und den Toten zu gedenken.
Der Advent nahte alsbald und so begannen die Bastelarbeiten für Krampus und Nikolaus und natürlich für Weihnachten. Bei der Nikolausfeier bekamen die Kinder vom Nikolaus und Krampus der Kinderfreunde Sackerl mit allerlei Kleinigkeiten. Im Kinderheim wurde von Tante Maria mit den Kindern ein Theaterstück für die Christbescherung einstudiert. Letztere fand immer am letzten Sonntag vor Weihnachten statt. Ein riesiger Christbaum mit bunten Lichtern erstrahlte den nur schwach beleuchteten Kinosaal, vor der Bühne standen die Geschenke für die Kinder. Das Theaterstück wurde aufgeführt, Weihnachtslieder wurden gesungen und dann kam er, der Weihnachtsmann und verteilte die Geschenke, die die Fa. Hutter und Schrantz gespendet hatte. Am Heiligen Abend kam der Weihnachtsmann mit den Musikanten in die Höfe der Fabrikshäuser und zu den damals noch spärlichen Einfamilienhäusern, um Weihnachtslieder zu spielen. Zu den Weihnachtsfeiertagen gab es noch Spaziergänge durch die tief verschneite Au oder durch den Gatsch, wenn das Weihnachtstauwetter einsetzte. Mit dem Basteln der Glücksschweine, der Rauchfangkehrer und den vierblättrigen Kleeblättern für Silvester schloss sich für uns Kinder der Jahreskreis.
Foto 1: Fröhliche Kindheit in Wasenbruck (Archiv Johann Amsis)
Foto 2: Fasching im Kinderheim (Archiv Johann Amsis)
Foto 3: Ausflug in den Prater, 1941 (Archiv Johann Amsis)
Foto 4: Erholung und Ferien (Archiv Johann Amsis)
Foto 5: Jugendweihe 1927 (Archiv Johann Amsis)
Foto 6: Nikolausfeier (Archiv Johann Amsis)